Ich habe viel von meinem Mathelehrer Herrn Heidenreich gelernt, das nicht ausschließlich mit Mathematik zu tun hatte. So hat er einmal erwähnt, dass ein Mann in seinem Leben ein Haus bauen, eine Familie gründen und einen Baum pflanzen sollte. Nachdem ich jetzt mehrere Jahre eher erfolglos versuche, einen Baum zu pflanzen, dachte ich mir, es sei an der Zeit, mir meiner Männlichkeit auf anderem Wege gewiss zu werden:
Schließlich gibt es ja noch die goldenen Richtlinien für ein Rockerdasein:
1. Lass Dir einen Rockerbart wachsen (erledigt)
2. Besorg Dir eine Rockerbraut (getan)
3. Geh auf ein Rockfestival (wie nachzulesen, auch bestanden)
4. Besorg Dir viele hässliche Tätowierungen
5. Fahre schnell und leichtsinnig mit übermotorisierten Motorrädern
6. Lege Dich mit den Inhabern des staatlichen Gewaltmonopols an (gemeinhin auch als Polizisten bekannt)
Weil ich die Punkte 4 und 5 nicht ohne längere vorbereitende Gespräche mit Freundinnen, Müttern, Vätern und anderen mehr oder minder Weisungsbefugten angehen wollte, begann ich schonmal an Punkt 6 zu arbeiten.
Und so bin ich am Samstag auf unserem Weg zur Lost Coast einfach mal ein bisschen schneller gefahren als erlaubt war. Zu meiner Verteidigung könnte man vieles anführen. Zum Beispiel, dass es einfach seltsam ist, dass ein und die selbe Straße, ohne den Namen zu ändern manchmal vierspurige Autobahn und manchmal verkehrsberuhigte Ortsdurchfahrt ist. Und machmal eben eine vierspurige Autobahn, die nicht Freeway sondern Highway heißt. Wenn man vier Stunden am Stück auf der Straße fährt, dann kann es schonmal vorkommen, dass da die Wahrnehmung der Gattung, zu der die Straße jetzt gerade gehört, etwas schwammig wird. Und so gings mir. Auf einem Highway, auf dem man 55 fahren darf, bin ich gefahren, wie man auf einem Freeway fahren darf (65). Naja, eine Kleinigkeit schneller vielleicht. Ich hatte circa 70 Meilen die Stunde drauf ( das sind so circa 115 km/h) als ich über die Kuppe kam hinter der mein Freund und Helfer auf mich wartete. Ich glaube mein Rockerimage wuchs gewaltig in den 30 Sekunden in denen ich mit einem blaulichtigen Bullen im Schlepptau über den Freeway - nein, eben gerade nicht Freeway sondern Highway - gefahren bin.
Zu beiderseitigem Vergnügen hatte ich natürlich meinen Reisepass nicht dabei, und er wollte auch meinen EU Führerschein nicht so recht anerkennen. Und es wurde immer lustiger als er für meinen Strafzettel eine Personenbeschreibung anfertigen wollte. Meine Augenfarbe konnte ich ihm ohne jedes Zögern mitteilen. Weil sich meine Körpergröße in den letzten 10 Jahren auch nur noch marginal verändert hat, dachte ich eigentlich, dass das auch das kein Problem sein sollte und sagte mit knallharter Rockerstimme und watteweichen Rockerknien was ich auswendig gelernt hatte und in meinem Ausweis steht "1 meter, 72 centimeters". Damit konnte er dann gar nichts anfangen. Er wollte es in foot und inch wissen, womit wiederum ich nichts anfangen konnte. Leider konnte ich es nicht umrechnen und er schien noch nie was von Metern und Zentimetern gehört zu haben. Sowas! Im einundzwanzigsten Jahrhundert. Schließlich konnten wir uns auf ein paar grobe Schätzungen in seinen Maßeinheiten einigen und ich durfte mein Ticket, einen Gerichtstermin und einige väterliche Ratschläge entgegennehmen.
Eigentlich wollte ich ihn noch um ein gemeinsames Foto für meinen Blog bitten. Aber nachdem ich an die Polizei-Reality-Serien dachte, die ich hier im Fernsehen gesehen habe, besann ich mich eines besseren. Es war einfach kein guter Tag zum Sterben. Die echten knallharten Rocker werden hier nämlich Polizisten...
Soviel zur Fahrt, die statt der geplanten vier Stunden achteinhalb dauerte. Die letzte Stunde davon übriges auf einer echten Schotterpiste. Zum Glück hatten wir ein Geländefahrzeug. Sonst wären wir wohl nimmer zurückgekehrt.
Die Lost Coast hat ihren Namen von der Tatsache, dass die wichtigen Straßen um sie herumgebaut wurden, und sie so bis zum heutigen Tage abgeschnitten und urwüchsig geblieben ist. Was den größten Teil ihres touristischen Reizes ausmacht. Dort haben wir dann noch eine kleine Wanderung zum Kings Peak, dem höchsten Punkt der amerikanischen Festlandküste gemacht und dann in der Wildnis unser völlig überdimensioniertes Zelt aufgebaut, und an einem genau richtig dimensionierten Lagerfeuer eine sehr wohl dimensionierte Menge canadischen Biers konsumiert bevor wir uns auf unseren absolut unterdimensionierten Isomatten zu einer eher unbequemen Nacht niederließen. Sehr wildromantisch. Ich hab Martin ein bisschen Mundharmonika spielen beigebracht. Das Blasen und Saugen klappt ganz gut, womit es noch hapert, ist, die richtigen Töne zur richtigen Zeit zu spielen. Aber das kann ja noch kommen. Er kann schon den ersten Takt von "der Mond ist aufgegangen ..."
Bären und Klapperschlangen, die es in der Region gibt, haben wir keine gesehen. Dafür zwei echte Eulen. Oder Uhus. Wo ist da eigentlich der Unterschied?
Am Sonntag morgen haben wir dann noch dem Blacksand Beach einen Besuch abgestattet. Das Besondere an diesem Schwarzsand Strand schien mir, dass es dort nicht wirklich Sand gab. Und der Sand, der nicht wirklich sandig war, war auch nicht wirklich schwarz. Seitdem fühle ich mich etwas weniger verlogen, wenn ich mich selbst als Rocker bezeichne. Ich bin halt ein Rocker im Sinne von grauer Schotterküste. War das jetzt zu metaphorisch?
Auf unserem Heimweg haben wir noch ein paar Touristenfallen mitgenommen. So sind wir mit unserem Auto durch einen Mammutbaum gefahren und haben das größte Haus in einem ausgebrannten aber noch lebendigen Baum besichtigt. Und haben schließlich in Mountain View mit einem Steak ein langes, hartes aber schönes Wochenende ausklingen lassen.